Falke auf der Hand
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Die Falknerei ist ein Faszinosum. Sie erzählt von der Jagd mit abgerichteten Greifvögeln, aber auch von Marco Polo und dem Kaiser von China, vom Stauferkönig und den „Berkutschi“, den Herren der Adler. Ihre gemeinsame Beute? Fasane und Feldhasen, Enten und Rebhühner, aber auch Wölfe und – in der Neuzeit angekommen – Drohnen. Seit 2016 gehört die Falknerei in Deutschland zum „Immateriellen Kulturerbe“ der UNESCO.  

Seit ewigen Zeiten suchen Menschen nach Jagdgenossen. Der Hund ist ein alter Bekannter, der Raubvogel ein eher Unbeachteter. Obschon die Falknerei, die sogenannte Beizjagd, auf stolze 3.500 Jahre geschätzt wird. Ihre Wurzeln liegen vermutlich in Zentralasien. Die ersten Europäer, die mit jagdlich geführten Greifvögeln in Berührung kamen, waren die Germanen, vermutlich ab dem 2. Jahrhundert.

Wer als heutiger „Germane“ auf geflügelte Pirsch gehen möchte, braucht einen Jagdschein und eine bestandene Falknerprüfung. Maximal zwei Vögel darf ein Falkner dann halten: Edle Wanderfalken kommen in Frage, Steinadler oder Habichte; andere Raubvögel sind nicht gestattet. Aufwendig und seit Jahrhunderten kaum verändert, verläuft das Zähmen, das Abrichten und Einjagen eines Beizvogels. Gelingt es, etwa mit einem Anwärterfalken, dann sieht die Jagd wie folgt aus: Ein Vorstehhund spürt zunächst die Richtung auf, in der sich das anvisierte Wild befindet. Der Falkner zieht seinem Vogel die lederne Haube herunter und wirft ihn von der behandschuhten Faust aus in die Luft. Der Vogel steigt, je nach Training, 100 bis 200 Meter geradewegs in die Höhe – und wartet ab. Der Hund seinerseits scheucht das Wild, ein Rebhuhn etwa, auf. Auf Kommando stürzt der Falke mit bis zu 200 Stundenkilometern herab und schlägt die Beute in der Luft.

Dass aus einem Greifvogel ein derart tauglicher Jagdgenosse wird, ist ein sensibles Unterfangen, das nur über positive Erfahrung und Belohnung gelingt. Tadel und Strafe sind den vogelfreien, durchaus eigenwilligen Tieren fremd. Unnachahmlich und noch dazu autobiografisch beschreibt dies die britische Autorin Helen Macdonald. In ihrem mehrfach ausgezeichneten Bestseller „H wie Habicht“, der 2015 auf Deutsch erschien, erzählt die Falknerin eine Jagdszene: „Ein Habicht nach dem anderen hatte für sich beschlossen, es sei nun genug; sie hatten keine Lust mehr, zu ihrem Falkner zurückzukehren, und setzten sich stattdessen in die Bäume, wo sie, aufgeplustert und nicht zu erweichen, ihre Blicke über beinahe endlose Weiden und Wälder schweifen ließen.“ Eine Geduldsprobe, an die ihre Eigner gewöhnt sind, vor allem die von eigenwilligen Habichten. Im konkreten Fall blieb ihnen „nichts anderes übrig, als zu warten … drei einsame Figuren, die in der Winterdämmerung auf Bäume starrten, während der Nebel auf den Feldern um sie herum immer dichter wurde …“

Ob dies auch einem Stauferkönig passiert wäre? Eine berechtigte Frage, denn wie kein Zweiter frönte Friedrich II. (1194–1250) der Falknerei. Im ausgehenden Mittelalter entwickelte sich die Beizjagd zur vollen Blüte. Das Verb „beizen“ entstammt gar dem Mittelhochdeutschen, es lässt sich mit „beißen“ übersetzen – und genau das sollen die Jagdvögel reichlich tun. Bis zu 50 Falkner standen zeitweise im Dienst des Stauferkönigs, darunter auch muslimische aus Ägypten und Arabien. Mit seiner Passion zeigte er sich als standesgemäßes Kind seiner Zeit: Wer im 13. bis 15. Jahrhundert etwas auf sich hielt, der demonstrierte seine Macht, seinen Reichtum über die vielen exotischen Tiere, die sich in seinem Besitz befanden. Prestigeträchtige Greifvögel, die traditionell von der Türkei bis China zum Jagdeinsatz kamen, gehörten eindeutig dazu – und waren dem Adel vorbehalten.

Für Friedrich II. war die Vogeljagd aber mehr als höfischer Status, mehr als Zeitvertreib. Er machte aus ihr eine veritable Wissenschaft: Zunächst beschaffte er sich sämtliche vorhandene Literatur und ließ sie ins Lateinische übersetzen. Dann, im Alter, zog es den Kaiser selbst ans Schreibpult. Er verfasste ein Werk, das bis heute als Standardliteratur gilt: „De arte venandi cum avibus“, zu Deutsch „Über die Kunst, mit Vögeln zu jagen“. Neben der Aufzucht, dem Fangen wilder Falken und Habichte, ihrer Zähmung und Abrichtung beschreibt er in naturwissenschaftlicher Manier alle Beutetiere und ihre Lebensgewohnheiten. Im kaiserlichen Werk finden sich sämtliche Gerätschaften beschrieben, die bei der Beizjagd auch heute noch – nahezu unverändert – zum Einsatz kommen: die blickdichten, ledernen Falkenhauben etwa, die vor der Jagd beruhigend wirken, oder auch die „Bells“, kleine Glöckchen. Befestigt an der Klaue, erleichtern sie das Auffinden von Jagdvogel und Beute. Auch Experimenten widmete sich der wissbegierige Friedrich: So ließ er – beispielsweise – einem Falken die Augen zunähen, um auszumachen, ob er Fleisch mit dem Geruchs- oder Sehsinn wahrnähme.

Je mehr die Jahrhunderte ins Land gingen, umso seltsamere Blüten trieb die europäische Falknerei. Bis heute beeindruckt die Zahl von 6.500 Beizvögeln, die allein das dänische Königshaus verschenkte, um sich im 17. und 18. Jahrhundert politische und diplomatische Freundschaften zu sichern. Als wilde Tiere wurden die edlen „Präsente“ in Norwegen und Island gefangen, meist aus ihren Nestern. Dass ein derartiger Raubbau die frei lebenden Bestände ruinieren musste, liegt auf der Hand. Erst die Technik, die Erfindung von Feuerwaffen und Schrot, brachten eine Wende: Die Beizjagd kam zusehends aus der Mode. Wobei die Greifvögel, als jagdliche Konkurrenz, nun selbst um Leib und Leben fürchten mussten. Bis heute steht es schlecht um die „Könige der Lüfte“: Steinadler etwa, die einst in ganz Deutschland beheimatet waren, leben nur noch in unzugänglichen Gebieten der Bayerischen Alpen. Rund 50 Paare soll es dort aktuell geben. Ihr Bruterfolg ist gering, Gleitschirmflieger und Hubschrauber machen den sensiblen Tieren auch hier zu schaffen.

Die Falknerei selbst hat längst moderne Züge angenommen: Der gefiederte Nachwuchs wird in Volieren gezüchtet. Wobei es meist die Weibchen sind, die auf Kommando Feder- und Haarwild schlagen; sie sind größer und stärker als ihre „Terzel“. Zunehmend finden sie, neben der Jagd, urbane und landwirtschaftliche Einsatzfelder. Streuobstwiesen etwa oder Erdbeerfelder, auf denen sich hungrige Krähen tummeln. Greift hier ein Raubvogel an, merken sich dies die davongekommenen Artgenossen und suchen sich – erst einmal – andere Futterplätze. Gleiches gilt für Taubenschwärme, die Flugplätzen zu schaffen machen. Auch Stadtparks, die unter einer Kaninchenplage leiden, kann mit Greifvögeln Linderung verschafft werden; töten die geflügelten Jäger doch ohne gefährliche Munition. Ein ganz aktuelles Schaffensfeld finden Steinadler und Co. in gesicherten Lufträumen: Drohnen, die mittlerweile jeder Hobbypilot für kleines Geld steigen lassen kann, können leicht als terroristische Bedrohung gelten. Sie vom Himmel zu pflücken, ist für einen ausgewachsenen Greifvogel ein Leichtes.  


Berkutschi, die mongolischen Herren der Adler

Die Kasachen der Mongolei jagen zu Pferde – und mit Adlern. Der stolze Brauch wird von Generation zu Generation weitergegeben und auf dem „Golden Eagle Festival“, das in der Provinz Bajan-Ölgii stattfindet, alljährlich demonstriert. Hier messen sich die „Berkutschi“, die Herren der Adler. Von ihnen erzählte im 13. Jahrhundert schon Marco Polo. Die blumigen Asienberichte des venezianischen Kaufmannes sind bis heute berühmt. Glaubt man ihnen, dann soll Kublai Khan, mongolischer Herrscher und gleichzeitig Kaiser von China, mit 10.000 Falknern zur Jagd gegangen sein. Neben Füchsen und Hasen setzten sie auch Wölfen nach. Steinadler, mit denen zentralasiatische Völker traditionell jagen, besitzen tatsächlich derart starke Klauen, dass sie den Schädel eines Wolfes durchbohren können oder ihn, an Wirbelsäule und Schnauze packend, zu fixieren wissen – so lange, bis der Jäger nachrückt.

Text: Kerstin Rubel. Publikation: Zum Hofe (01/2018). Herausgeber: QS Qualität und Sicherheit. Bildnachweis: Unsplash (Kamil Szumotalski), Shutterstock (MaPaSa, De Visu)