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Schon im Kindergarten wollte sie die Welt retten und mit 15 Jahren Öko-Winzerin werden. Martina Bernhard-Fazzi begeisterte ihre ganze Familie für den Bio-Weinbau und stellte das heimische Gut – obwohl ein Großteil der alten Kundschaft absprang – auf neue Füße. Die 26-Jährige lebt in Wolfsheim, einem Dorf in Rheinhessen. Für sie ist Nachhaltigkeit Familiensache. „Es war“, erzählt sie, „als hätte nur einer von uns laut aussprechen müssen, was alle schon im Herzen trugen.“

„Dann mach’s halt.“ Martina steht mit ihren Eltern im Hof ihres Weinguts. Sie sprüht vor Begeisterung, spricht von Bio-Weinbau, vom Umweltschutz, von all dem, dem vielen, dem Großartigen, das sich tun ließe, um nicht weniger als die Welt zu retten. 14 Jahre ist sie alt. Und nicht aufzuhalten. Jörg, ihr Vater, der einen konventionellen Familienbetrieb bewirtschaftet, muss das damals schon geahnt haben. „Dann mach’s halt“, sagt er zu seiner Tochter. Nicht mehr. Und gibt ihr einen seiner Weinberge. Einen Morgen ist er groß.

Das Feldmaß „Morgen“ ist ein wenig aus der Mode geraten. 25.000 qm umfasst es und ist damit so klein, dass es nicht mehr viele Landwirte im Munde führen. Für Martina aber ist dieser Morgen nicht weniger als das Morgen selbst: ihre Zukunft. Sie legt los, setzt Zeichen, zeigt, dass das, was da in ihrem Kopf herumspukt, mehr ist als nur heiße Luft. Wobei: Heiß wird ihr durchaus, im Sommer bei 30 Grad, wenn sich ihre Freundinnen im Freibad sonnen und sie „im Wingert“, ihrem Weinberg, schafft. „Schon damals fiel mir auf, dass die Natur am besten funktioniert, wenn du sie machen lässt und nur regulierend eingreifst“, erzählt sie. Im Herbst erntet sie ihre ersten Früchte, denn die trägt ihre Arbeit.

„Meine Eltern hatten schon immer großes Vertrauen in mich, sie wussten einfach, ich geb’ mein letztes Hemd“, sagt sie rückblickend. Und: „Ich wollte schon im Kindergarten die Welt retten.“ Noch ist es nicht ganz die Welt geworden, aber 27 Hektar Land und damit mehr, als ein durchschnittliches Weingut misst – und weit mehr, als die meisten von uns besitzen. 27 Hektar bewirtschaftet Martina heute gemeinsam mit ihrem Vater, beide sind gleichberechtigte Gesellschafter ihrer neu gegründeten GbR. Mit 21 Jahren ist sie daheim eingestiegen, als frischgebackene Winzerin und Weinbautechnikerin. Seit 2020 produzieren die Bernhards ausschließlich Bio-Weine mit EU- und Ecovin-Zertifizierung, zudem lassen sie sich vom biodynamischen Weinbau inspirieren. „Wir wollen ganz weit weg vom Standard und wieder ein Gespür für die Natur, für den eigenen Wein entwickeln.“

Anders als andere Jungwinzer, die erst mal mit einer eigenen Weinlinie starten, die sich gemächlich zum laufenden Geschäft entwickeln kann, krempelte Martina mit ihrem Vater den kompletten Betrieb um. Nicht nur im Weinberg, auch im Weinkeller arbeitet sie nun Lowtech und will vor allem die Natur machen lassen. „Das allerdings ist ein Abenteuer, und du musst schon ein paar schlaflose Nächte wegstecken“, stöhnt sie, hält dann inne. „Aber ich wusste immer, wenn wir das schaffen, dann schaffen wir etwas Großes.“ Auf dem Weg dorthin waren das Engagement, die Erfahrung ihres Vaters unersetzlich. „Er wusste einfach, was der Weinberg draußen braucht, wie die Reben auf die Witterung reagieren. Als junger Mensch kannst du das nicht alles meistern, Erfahrung kannst du nicht künstlich erzeugen.“ So haben beide voneinander gelernt: Martina von seinem Know-how, Jörg von ihren Ideen.

Und Ideen, die brauchte das Tochter-Vater-Gespann mehr denn je. Denn kaum stand der neue Bio-Wein auf dem Tisch, da sprang die alte Kundschaft ab. Sie war nicht bereit, den etwas höheren Preis – aktuell kostet eine Flasche Gutswein bei den Bernhards rund 7,50 Euro – für das mit viel Handarbeit erzeugte Naturprodukt zu zahlen. „Da ist mir das Herz in die Hose gerutscht“, Martina steht der Schock noch immer ins Gesicht geschrieben. Und die Enttäuschung: „Die haben früher nur wegen des Preises gekauft, nicht wegen unserer Qualität.“ 

Zeit, den Kopf in den Sand zu stecken, bleibt ihr nicht. Martina muss, blutjung, wie sie ist, in die Offensive. Sie klappert Händler und Gastronomen ab, besucht Weinmessen und Events, reist von Schweden bis Polen, engagiert sich im Jungwinzer-Verein „Generation Riesling“, „dem coolsten Netzwerk der Welt“. Sie ist wie unter Strom, muss sie doch 70 Prozent der alten Kunden, die sich nach und nach verabschiedet hatten, durch neue ersetzen. „Es ging dabei nicht nur um meine Zukunft, sondern auch um die meiner Eltern, meiner Großeltern und die meiner jüngeren Geschwister“, erklärt sie. Die komplette Großfamilie war Martinas nachhaltiger Vision gefolgt, unterstützte sie nach Kräften. Wirtschaftlich waren sie aber auch alle von dem Wein abhängig, der sich nun nicht mehr verkaufen ließ.

Nicht über Nacht, aber peu à peu stellten sich neue Kunden ein und damit Menschen, die zu Produkt und Werten passten. Für Martina ist jede Flasche Wein, die weniger als fünf Euro kostet, ein Respektlosigkeit gegenüber der Natur. „Es gibt nichts Schöneres, als jemanden dabei zu beobachten, wie er von deinem Wein kostet und dann lächelt.“ Martina strahlt. Es sind genau diese Momente, die sie motivierten und durchhalten ließen. Mit Erfolg: Rund 50 Prozent ihrer Flaschen verkauft sie heute über den eigenen Onlineshop, den Rest vertreiben Weinhändler im In- und Ausland. Der Laden läuft. Und im letzten Jahr blieb auch wieder Zeit für Privates: Martina heiratete in der Toskana (und wurde – Nachtrag der Redaktion – bald darauf Mutter). Das Unternehmen Familie geht in die nächste Etappe.

Text: Kerstin Rubel. Publikation: Gekommen, um zu bleiben (Februar 2022). Verlag: Callwey. Bildnachweis: Callwey (Ulrike Schacht)