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Ziegen erfreuen sich großer Sympathien. Häufig als reine Liebhabertiere für die Wiesen ums Haus angeschafft, darf man die quicklebendigen Tiere aber keinesfalls unterschätzen. Vor allem nicht, wenn sie auf eine ebenso quirlige Claudia Schäfer-Trumm treffen: Die unternehmenslustige Westerwälderin bewirtschaftet einen Hof mit über 100 Milchziegen. Den selbst veredelten Käse kredenzt sie in ihrer „Kleinen Fromagerie“. Rund 4.000 Gäste schauen hier, im rheinland-pfälzischen Dörfchen Oberrod, jedes Jahr vorbei.

Claudia Schäfer-Trumm steht vor ihrem Packtisch und rauft sich die Haare: Es gibt zu wenig Käse für zu viele Bestellungen! Was 2005 zur reinen Selbstversorgung mit drei Tieren – Anna, Emma und Paul – begann, hat sich mit den Jahren und „völlig ungeplant“ zu einem veritablen Ziegenhof mit eigener Käserei entwickelt. Für die notwendige Bekanntheit sorgten Gastro-Magazine wie „Feinschmecker“ oder „Essen und Trinken“. Der Deutsche LandFrauenverband kürte Schäfer-Trumm zur „Unternehmerin des Jahres 2016“, Motto: „LandFrauen mit Ideen“.

Gut 100 „Weiße Deutsche Edelziegen“ zählt Schäfer-Trumms Herde, die Milch, die sie geben, wandert komplett in die hauseigene Käseproduktion. 170 Lämmer wurden allein im letzten Jahr geboren, meist Zwillings-, häufig aber auch Drillingsgeburten. 60 von ihnen verkaufte die gebürtige Westerwälderin lebend. „Mir scheint, dass sich immer mehr Menschen für Ziegenhaltung interessieren“, erzählt sie. „Es kommt schon vor, dass wir zehn Zicklein auf einmal abgeben, häufig wollen die Leute aber nur zwei oder drei halten.“ Es sind meist Liebhabertiere, die ganz nebenbei der Landschaftspflege dienen. Dabei kann das fruchtbare Geschöpf so viel mehr, ganz besonders die Weiße Deutsche Edelziege. Sie ist – nach der „Bunten Deutschen Edelziege“ – die beliebteste und auch die produktivste Rasse hierzulande. In ihrer rund 240 Tage währenden Laktation gibt sie rund 1.100 Kilogramm fett- und eiweißreiche Milch, die zu allen gängigen Milchprodukten verarbeitet wird. 30 Kilo beträgt die tägliche Käseproduktion der Kleinen Fromagerie. Ein Teil verlässt den Ziegenhof via Postpaket. Einen anderen nehmen regionale Restaurants, Hof- und Feinkostläden ab, sie schätzen die violett etikettierten Westerwald-Originale im Sortiment.

Am liebsten aber kauft die Kundschaft direkt vor Ort. Dann, wenn Claudia Schäfer-Trumm zu Betriebsbesichtigungen oder, noch besser, zur „Sinfonie der Sinne“ einlädt. Zu der siebengängigen Käse-Wein-Verkostung empfängt sie direkt am eigenen Haus, das oberhalb der Ställe in einem Wohngebiet liegt. Gasträume, Küche, Käserei und privates Leben gehen wie selbstverständlich ineinander über. „Wir leben einfach so, wie wir es schön finden, und lassen unsere Gäste daran teilhaben“, sagt die 53-Jährige. Und dieser Satz kommt ihr derart freimütig über die Lippen, dass man ihr die unermüdliche Gastfreundschaft direkt glauben mag. So vergeht kein Sonntag, an dem nicht irgendjemand an der Türe klopft: hier ein Gutschein, da ein paar Gramm Käse und „nur mal kurz Ziegen gucken“.

Vielleicht ist es genau diese Zugabe von Persönlichkeit, die, neben aller Produktqualität, das Erfolgsrezept der Kleinen Fromagerie ausmacht. Zu jedem Camembert, zu jedem Brie und Frischkäse gibt es eine Prise Lebensart dazu. An eben dieser liegt Schäfer-Trumm viel. So baute sie etwa aus den Steinen einer alten Scheune, historischen Fenstern und Steinplatten, die sie mitsamt Familie im Wald ausgrub, ein urig anmutendes Bruchsteinhäuschen im kleinen Innenhof. Hier veranstaltet sie ihre Gastro-Events im Landhauslook, bei denen sie nicht Ruhe gibt, bis „jeder Kräuterzweig an der richtigen Stelle liegt“. Rund 4.000 Besucher empfängt sie pro Jahr. Und die unternehmenslustige Claudia Schäfer-Trumm kommt langsam an ihre Grenzen: „Im nächsten Jahr müssen wir kürzer treten“, sagt sie und zählt im gleichen Atemzug auf, was sie schon wieder alles plant: größere Stallungen, den Ausbau der Sommerküche, einen Turm aus alten Bruchsteinen, weitere Ferienwohnungen und endlich einen richtigen Hofladen.

So wie es ausschaut, hat die Kleine Fromagerie ins zeitgeistig Schwarze getroffen. Gewiss profitiert sie von dem ungebrochenen Trend der „Landlust“, von mediterranen Reiseträumen, von der Sehnsucht nach Handgemachtem und Ursprünglichem. Ein Potpourri, in dem sich Ziegenkäse bestens macht. „Früher war er verpönt, aber heute gehört er zur feinen Lebensart“, so Schäfer-Trumm. Den einst strengen und derben Geschmack der Ziegenmilchprodukte rechnet sie der mangelnden Stallhygiene vergangener Tage zu. „Es wurde in den offenen Eimer gemolken, der dann noch im warmen Stall herumstand, bis alle Tiere versorgt waren. So hat die Ziegenmilch dann wohl auch geschmeckt, sie nimmt ungeheuer leicht Gerüche an“, erzählt sie. In ihrem Stall stehen ein moderner Melkstand und edelstahlglänzende Kühlsysteme. Dieser luftdichten Verpackung kann selbst der legendäre Gestank eines Ziegenbocks nichts mehr anhaben.

Bei der Kleinen Fromagerie im Westerwald packen neben den drei erwachsenen Söhnen und deren Großmütter zwei Vollzeitkräfte und drei Aushilfen mit an. Und natürlich Dirk, der Ehemann. „Er ist unser Architekt und Sommelier“, so die muntere Gattin. Eigentlich jedoch ist er als Geschäftsführer bei einem kommunalen Unternehmen beschäftigt. Die Ziegen laufen für ihn, wie die Gäste auch, nach Feierabend und am Wochenende nebenher. Eine landwirtschaftliche oder gastronomische Ausbildung besitzt er nicht, von Haus aus ist er Betriebswirt. Gleiches gilt für seine Frau, die trotz ihres wirtschaftlichen Erfolgs immer noch Teilzeit in der Personalleitung eines Hotels arbeitet. Denn es ist dieses „raus aus den Pumps, rein in die Gummistiefel“, der Tausch von „Mistgabel gegen Laptop“, der für sie Lebensqualität bedeutet. Die richtige Mischung ist es also wieder einmal, die es macht. Und der persönliche Anspruch, die zahlreichen Facetten, die das Leben anzubieten vermag, auszuleben.

Auf eben diesem Wege gelangte auch das französische Flair in den Westerwald, formte gar namensgebend die „Kleine Fromagerie“. „Ich liebe die Provence, und es gab eine Zeit, da planten wir, ein Haus in Frankreich zu kaufen“, erinnert sich Schäfer-Trumm. Da es dann doch nicht dazu kam, holte die kreative „Teilzeit-Aussteigerin“ die mediterrane Lebensart eben zu sich nach Oberrod. Kein Problem für die tatkräftige Unternehmerin, denn: „Man darf nicht so viel nachdenken, sonst fängt man ja nichts an.“ Vom Käse- bis zum Heumachen hat sie sich alles selbst angeeignet. Auch hauseigenes Porzellan, T-Shirts im Ziegenstyle und ein Buch, das sie im Selbstverlag herausbrachte, sind in ihrer Kreativwerkstatt entstanden. Ein Ende ist dabei nicht in Sicht, besonders kein kulinarisches: Aktuell experimentiert Schäfer-Trumm mit Käse, den sie in einem Barrique-Fass reifen lässt. Dabei setzt sie, wie bei all ihren Rezepturen, auf traditionelle Zubereitungsformen und einfache, aber gute Zutaten, die sie dann raffiniert verfeinert. So entstanden auch die zahlreichen Camemberts, die Kundenlieblinge, die sie mit Kräutern, Steinpilzen, Trüffeln oder Nüssen, die sie aus dem Piemont bezieht, füllt. „Die gute Qualität macht sich bezahlt“, sagt sie. Und: „Ich kann nur verkaufen, was ich selbst gern esse.“ Dabei klopft sie nachdrücklich auf die Tischplatte.

Ein wenig später, aber nicht weniger nachdrücklich, prüft sie jede Klinke, rappelt an jedem Riegel in ihrem Stall. Wer Ziegen hält, muss wachsam sein und kontrolliert am besten alles zweimal. Die eigenwilligen Tiere sind wahre Entfesselungskünstler. Ganz zum Leidwesen ihrer Besitzer, die jede Unachtsamkeit mit einer anschließenden Suchaktion büßen müssen. Selbst nach einem Dutzend Jahren wissen die klugen Geschöpfe auch Schäfer-Trumm noch auszutricksen: So machten sich die beiden Böcke Michel und Emil jüngst selbstständig, überwanden einen hohen Zaun und fanden sich bei den benachbarten Damen ein. „So, wie es aussieht, haben sie alle gedeckt“, erzählt ihre Besitzerin mit einem leichten Seufzen. Eigentlich wollte sie den Winter durchmelken, so aber versiegte der Milchfluss schon im Dezember. Bis zu den ersten Geburten im Frühjahr wird sich daran auch nichts ändern. Ernüchternd für die Kundschaft, die trotz leerer Regale fleißig bestellt, und bitter für Schäfer-Trumm, die nicht nur auf Umsatz verzichtet, sondern auch auf ihre eigenen zwei Liter Ziegenmilch, die sie täglich trinkt.  


Ziegen – die Kuh des kleinen Mannes

10.000 Jahre schon begleitet die Ziege, die ihre Ursprünge in Kleinasien findet, den Menschen. Heute ist die „Kuh des kleinen Mannes“ vor allem in Entwicklungsländern zu finden, rund 95 Prozent des Weltbestandes leben hier. Neben Fleisch und Milch liefert sie wertvolles Leder, im Falle der Angora- und Kaschmirziegen auch Wolle. Mit all dem trug das Tier bis vor nicht allzu langer Zeit auch hierzulande wesentlich zur familiären Eigenversorgung bei. In deutschen Bergbaugebieten etwa sorgten die Ziegen der Hinterhöfe für ein unersetzbares Lebensmittel: für Milch. 130.000 der Paarhufer leben heute schätzungsweise in Deutschland, 22 Rassen zählt der Bundesverband Deutscher Ziegenzüchter.


Text: Kerstin Rubel. Publikation: Zum Hofe (01/2017). Herausgeber: QS Qualität und Sicherheit. Bildnachweis oben: Shutterstock (Artsiom Petrushenka), mittig: Claudia Schäfer-Trumm, unten: Shutterstock (Milosz_G)