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Eng, teuer, laut. Die Großstadtmüdigkeit ist enorm, aber wie packt man den Neubeginn auf dem Land an? Wo findet sich eine schöne wie zeitgemäße Immobilie im Grünen? Und was braucht ein urbaner Mensch, um im Dorf glücklich zu werden? Der Berliner Frederik Fischer hat eine Antwort. Sie heißt KoDorf. Ein Interview.

Fangen wir ganz nüchtern an: Was kostet ein Haus im KoDorf?

„Es beginnt bei 140.000 Euro, wobei man bei uns keine Immobilie kauft. Die KoDörfer sind als Genossenschaft organisiert, man erwirbt ein lebenslanges Nutzungsrecht, das nicht nur den eigenen Wohnraum umfasst, sondern auch die weitläufigen Gemeinschaftsflächen. Es geht darum, miteinander zu leben und zu arbeiten.“

Wie sehen potenzielle KoDörfler aus?

„Das sind Kreative, Digitale und alle, die ortsunabhängig arbeiten können. Großstadtmüde Singles gehören genauso dazu wie junge Familien, aber auch Pensionäre, die ihr Berufsleben hinter sich haben. Unser Altersdurchschnitt liegt aktuell bei 44 Jahren.“

2022 soll der Bau von zwei KoDörfern beginnen: Während im brandenburgischen Wiesenburg bereits alle Häuser vergeben sind, startet der Community-Aufbau im westfälischen Erndtebrück im Frühjahr. 21 ökologisch gebaute, auf das Wesentliche reduzierte Holzhäuser, jeweils zwischen die das Münchner
Architekturbüro agmm entwarf, sollen sich dort auf einem 1,6 Hektar großen Grundstück verteilen. Den Dorfmittelpunkt bildet ein stillgelegtes Sägewerk, in dem die Gemeinschaftsflächen entstehen: Co-Working-Space, Community-Küche mit langer Tafel, Werkstätten, Gästeapartments. Alles Weitere
wie Carsharing, eigenes Café oder Hofladen – wird sich zeigen.

Was für Grundvoraussetzungen muss eine Kommune mitbringen, um als Ko-Dorf-Standort interessant zu sein? Ich schätze mal ein Glasfaserkabel und einen Bahnhof …

„… schnelles Internet ist zwingend, der Bahnhof nicht mehr. Die Präsenzpflicht im Büro, das ständige Pendeln haben mit Corona an Bedeutung verloren. Es geht heute darum, komplett an einem Ort zu leben, egal, wie abgelegen er ist. Das ist total schön, denn jetzt können Menschen endlich dort wohnen, wo sie es auch wollen. Eine Kantar/Emnid-Studie von 2020 zeigt beispielsweise, dass der Lieblingswohnort der Deutschen das Dorf ist. Selbst die meisten Großstädter möchten dort oder in einer Kleinstadt leben, zumindest aber am Stadtrand.“

Ist es schwer, ländliche Kommunen für Co-Living-Projekte, wie du sie planst, zu begeistern?

„Ehrlich gesagt, kommen die Kommunen gerade auf uns zu, nicht umgekehrt. Darin zeigt sich schon, ob eine Willkommenskultur vor Ort vorherrscht, ob die Köpfe offen sind. Mich hat beispielsweise Henning Gronau, der Bürgermeister von Erndtebrück, unheimlich beeindruckt. Er hat vor seinem heutigen Amt in einer Unternehmensberatung gearbeitet. Er ist progressiv, neugierig und schafft es, die Leute vor Ort mitzunehmen – eine nicht zu unterschätzende Eigenschaft für einen Kommunalpolitiker. Schon bei der ersten Infoveranstaltung sind wir in Erndtebrück auf eine offene und wohlwollende Atmosphäre gestoßen. Diese Wertschätzung seitens Verwaltung und Einwohnern ist wichtig für uns und gehört zu den Faktoren, die vielleicht niemanden aufs Land ziehen, ihn aber dort halten.“

Was motiviert den Bürgermeister, so ein progressives Projekt anzupacken?

„Letztlich soll die Lebensqualität aller steigen. Auch die Einheimischen sollen das KoDorf nutzen, den Co-Working-Space, ein mögliches Café oder Veranstaltungen, die wir organisieren. Wir wollen keine abgeschlossene Wohnanlage, das spiegelt auch die fantastische Lage des Grundstücks wider: Auf der einen Seite grenzt es an den Ort, auf der anderen öffnet es den Blick auf unbebautes Land – und überall ist das Plätschern eines Flusses zu hören.“

Für dich liegt in der Provinz nicht nur ein Sehnsuchtsort, sondern auch ein Zukunftsraum, an den du glaubst. Warum?

„Tatsächlich entstehen die wirklich aufregenden Zukunftsentwürfe gerade im ländlichen Raum. Meine Mitstreiter und ich wollen eine gemeinwohlorientierte Zukunft gestalten. Auf dem Land sind die Entwicklungen viel näher dran am Menschen, sie sind schneller, direkter, das Engagement einzelner besitzt einen starken Bezug zum Allgemeinwohl. Wenn ich mir dagegen den gegenwärtigen Hype um allein technologisch getriebene Start-ups anschaue oder die völlige Verzerrung des Immobilienmarkts, dann haben wir es hier mit Entwicklungen der Metropolen zu tun. In kleineren Strukturen verlieren diese Marktlogiken an Dominanz, hier zählen soziale Innovationen.“

Die Trendstudie „Progressive Provinz“, die das Zukunftsinstitut 2021 veröffentlichte, geht sogar noch einen Schritt weiter: Sie prognostiziert, dass im ländlichen Kontext neue Projekte, Strukturen und Lebensstile entstehen, die zurück in die Städte schwappen. So würden Dörfer und Regionen zu den Treibern, die gesellschaftliche Entwicklung voranbringen. Sie dienten etwa als soziale Experimentierräume und böten neuen Communitys einen nahrhaften Boden, um dörfliche Struktur mit urbaner Offenheit zu verknüpfen. „Die Progressive Provinz versöhnt das Regionale mit dem Kosmopolitischen und die Tradition mit der Hypermoderne“, meint Matthias Horx, bekannter Trendforscher und Gründer des Zukunftsinstituts.

Wie blicken Großstädter eigentlich auf Landbewohner? Manchmal kommt es mir so vor, als hätten beide Angst voreinander.

„Ich erkenne bei den Großstädtern vor allem zwei Ängste, die ein potenzielles Landleben hervorruft: zum einen, keine Immobilie zu finden, die zu ihnen passt, zum anderen, den Neustart allein hinlegen zu müssen und sozial zu vereinsamen. Deshalb zieht sich die Community als roter Faden durch alle Projekte, die ich gerade anpacke.“


Noch lebt Frederik Fischer mit seiner kleinen Familie in Berlin, er will aber ins brandenburgische Wiesenburg, ins KoDorf ziehen. Der 40-Jährige ist im ersten Beruf Journalist. Sein heutiges Business begann, als er vor sieben Jahren selbst nach einer Immobilie auf dem Land suchte, aber nichts fand, was zu seinen Wünschen und Finanzen passte. Seine beiden Start-up-Ideen „KoDorf“ und „Summer of Pioneers“ stellt er unter www.neulandia.de vor.

Text: Kerstin Rubel. Publikation: Gekommen, um zu bleiben (Februar 2022). Verlag: Callwey. Bildnachweis: Callwey (Ulrike Schacht)