Gin mit Barkeeper
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Der „New York Times“ waren sie einen Artikel wert: die kleinen Gin-Destillerien, die plötzlich wie eigenwillige Pilze aus deutschem Boden sprießen. „The land of beer, riesling and schnaps has suddenly gone mad for gin“, befand die Tageszeitung. Wer eine Szene-Bar in Berlin oder Hamburg besucht, mag dem nur zustimmen. Denn mit dem Dry Gin eroberte auch die klassische Bar-Kultur einen Platz am Tresen.

Bevor wir in eine deutsche Szene-Bar treten, kurz eine Begriffsbestimmung. Und dazu müssen wir nach London. Besser noch in die Niederlande, denn hier wurzelt das britische Nationalgetränk. Der Vorläufer des Gins ist der „Genever“, ein Schnaps, der zu Deutsch nichts anderes als „Wacholder“ bedeutet. Womit seine wichtigste Zutat bereits geklärt ist. Mit den Jahren wurde aus dem Genever der Gin, dies ging den Briten sprichwörtlich leichter über die Lippen. Das „Dry“ des heute verbreiteten „Dry Gins“ entstand Ende des 18. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit hatte sich der ehemals raue Arme-Leute-Fusel in die Upperclass hochgearbeitet. Ursache boten ausgefeiltere Destillierverfahren und verfeinerte Rezepturen, die zu einem runden, trockenen Geschmack führten. Hinzu kam ein regulierender Eingriff der britischen Regierung, die den Gin-Konsum eingrenzen wollte.

So viel zur Historie, jetzt zur deutschen Gegenwart: Die Herstellung des Gins, so heißt es, sei verhältnismäßig leicht. Das Wacholderdestillat braucht keine Lagerzeit, wie etwa Whisky, und basiert auf stärkehaltigen Rohstoffen, die in guter Qualität überall zu bekommen sind: Getreide, Zuckerrüben oder auch Kartoffeln. Auf Letztere setzt etwa der Dry Gin „Windspiel“, der seit 2014 in der Vulkaneifel entsteht. Die regional so typischen Feldfrüchte gehören zum eindeutigen Selbstverständnis der lifestyligen „Premium-Marke“.

Bei allen Dry Gins geschieht während der Destillation das eigentliche Kunststück: die Aromatisierung. Jetzt schlägt die Stunde der Gewürze. Neben besagten Wacholderbeeren zählt Koriander zu den Klassikern. Der in Bayern hergestellte „The Duke“ setzt zudem auf Zitronenschalen, Lavendelblüten, Angelika- und Ingwerwurzel. Ähnliches steckt im Berliner „Adler“, seit 2005 Vorreiter aller neudeutschen Gin-Brauer. Der im Rheinland beheimatete „Siegfried“ dagegen vertraut, bezugnehmend auf die Nibelungen-Sage, auf ein anders „Leit-Botanical“: Es ist die Lindenblüte.

Den Vogel, wahlweise auch den Affen, schießt aber „Monkey 47“ ab. Der Dry Gin, der 2011 zum besten der Welt gekürt wurde, vereinigt nicht weniger als 47 Früchte, Kräuter und Gewürze in seinen ebenfalls 47 Alkohol-Prozenten. Viele dieser – neu gelernten – „Botanicals“ stammen aus dem Schwarzwald: die Fichtensprossen etwa, die Holunderblüten, Hagebutten und Preiselbeeren. Denn im „Black Forrest“ ist der Monkey zu Hause. Zudem greift er mit beiden Händen, vielleicht auch um seinem Namen Ehre zu machen, zu Exotischem: Piment, Süssholz, Gewürznelken, Ingwer, Paradieskörner, Muskat – um nur einige Ingredienzien zu nennen. Abgefüllt in braune Apothekerflaschen spielt der Schwarzwälder gerne mit Historistischem, mit der guten alten Zeit. Ebenso die Macher des Hamburger „Gin Sul“ (ihre Destillerie ist in der Mitte abgebildet): Er wird in weiße Tonflaschen abgefüllt, so wie einst der Genever, der Urahn.

Die Gin-Produzenten selbst sind eine illustre Runde. Ja, es gibt Gastronomen unter ihnen, aber auch Historiker, Landwirte, Verleger, Telekommunikations- Manager und Professoren für Mikrobiologie. Sie alle scheinen sich an dem ausgesucht Handgemachten zu erfreuen. Ebenso an klassischer Bar-Kultur, die leicht 20 Gin-Sorten zur Auswahl stellt. Und: einige Tonics. Denn „Gin and Tonic“ ist hier wörtlich zu verstehen und die richtige Zusammenstellung des Longdrinks wiederum ein Thema für sich. Das Hamburger „Gin-Festival“ will in diesem Sinne nicht nur Menschen und Gläser zusammenbringen, sondern auch Gin und Tonic. Allein zu diesem Zwecke versammeln sich alle Genannten und tauschen einander aus. Nach 2016 in diesem Juni nun schon zum zweiten Mal.  


Würde man die Hipster einer Szene-Bar fragen, welchem Gewürz sie ihren Drink zu verdanken haben, die meisten wüssten es nicht. pfeffer verrät es: Es sind die schwarzblauen Wacholderbeeren (rechts oben im Bild). Ihr Duft erinnert an einen Nadelwald im Sommer, ihr Geschmack ist prägnant, harzig, herb mit süsslicher Note. Der oftmals urig gewachsene Wacholderbaum gehört zu den Zypressen. Bis sich aus seinen Blüten vollreife kugelige Beerenzapfen entwickelt haben, die sogenannten Wacholderbeeren, braucht es drei Jahre. Ihre Ernte geschieht meist in Wildsammlung, getrocknet wird sie an der frischen Luft.


Text: Kerstin Rubel. Publikation: Gewürz- und Kulinarikmagazin „pfeffer“ (01/2017). Herausgeber: Fachverband der Gewürzindustrie. Bildnachweis oben: Shutterstock (Elena Gordeichik), mittig: Gin Sul