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Die einen mögen sich einen Gin einschenken, die anderen einen Whisky. In Westfalen aber trinkt man Korn. Nicht irgendeinen, es darf schon ein barrique-gereifter Dinkelbrand sein. Was ein Korn so alles kann, zeigt die Brennerei Ehringhausen in Werne. Ein Familienunternehmen mit bäuerlichen Wurzeln bis ins Jahr 1237, frisch belebt durch das Geschwisterpaar Theres und Georg Glitz-Ehringhausen.

Getreide, Gerstenmalz, Hefe, Brunnenwasser – und sonst gar nichts. Ein Kornbrand ist ein ehrliches Produkt. „Und genau hierhin liegt sein Reiz“, findet Georg Glitz-Ehringhausen, der mit schnellen Schritten durch seine historischen Räume führt. Wer ihm folgt, dem dämmert bald: Die Spirituosen-Brennerei ist eine Handwerkskunst für sich. In ihr beginnt alles mit dem guten Korn: mit herzhaftem Dinkel, würzigem Roggen, mildem Weizen. Sie bilden die Rohstoff-Basis für alle Ehringhausener Brände, deren Herstellung traditionell an der Mühle beginnt: Zweimal schrotet sie das Getreide, das direkt weiter in den Maischebottich wandert. Mit Wasser verrührt und erwärmt, mit Hefe versetzt, beginnt die Gärung. Über drei Tage hinweg verwandeln sich Zucker- und Stärkemoleküle in Alkohol. Fertig ausgereift siedet die Maische daraufhin in der Destille. Sie produziert den Rohbrand, der bereits 85 Prozent Alkohol enthält. Nun das handwerkliche Herzstück: die kupferne Rektifikationsanlage. Sie destilliert in 42 Gängen und über 14 Stunden das vorläufige Endprodukt: einen aromatischen Feinbrand mit 96 Prozent Alkohol. 10.000 Liter davon produziert Ehringhausen im Jahr.

„Einen Teil liefern wir an Likörhersteller, die ihn in eigener Regie weiterverarbeiten. Den größeren Anteil jedoch veredeln wir selbst“, erklärt Theres Glitz-Ehringhausen, die sich nun, ebenso wie ihr Bruder, in Geduld üben muss. Drei bis vier Jahre dauert es beispielsweise, bis aus dem Feinbrand ein „Kleiner Lord“ geworden ist. Gemeint ist ein barrique-gereifter Dinkelbrand – der ganze Stolz des Hauses. Er ruht im benachbarten Lager und erlebt die „Oxidationsphase“. In dieser Zeit atmet und reift der zukünftige Lord im Eichenfass, dort erhält er seinen Schliff: ein weiches und mildes Aroma, dazu Kraft und Fülle, veredelt durch all die Geschmacksstoffe, die er aus dem Holz zu ziehen vermag: Vanille, Süßholz, Rosine, Toffee, Brandynoten – die Facetten sind vielfältig. Dabei besitzt jedes einzelne Barrique, das hier auf seinem runden Bauch zu liegen kam, eine ganz eigene Biografie. „So kann ein Eichenfass zunächst in einer amerikanischen Bourbon-Destillerie gestanden haben, ist dann in die Rum-Produktion nach Martinique gegangen und kam schließlich zu uns nach Ehringhausen“, erklärt die Unternehmerin.

All diese Holz gewordenen Geschichten reihen sich auf der ehemaligen Tenne, zwischen alten Lehmputzwänden, dicht aneinander: Angejahrte Sherry- und Portwein-Fässer ebenso wie blitzneue Modelle, die aus rheinland-pfälzischen Eichen gefertigt wurden. Ihr Inneres erhielt einen eigens bestellten „Toast“, womit kein Trinkspruch, sondern das Ausflämmen gemeint ist. Je nachdem, wie es ausfällt, ändern sich die Aromen, die das leicht verkohlte Holz an den Alkohol abgibt. Nach den Lagerjahren dann der Höhepunkt: das Finish. Hofeigenes Brunnenwasser stuft den hochprozentigen Feinbrand auf Trinkstärke herunter, im Falle des Kleinen Lords auf 42 Prozent. Danach kommt er – endlich – in die nicht minder geschmackvolle Flasche und schließlich in drei verschiedenen „Blends“ in den Verkauf. Jetzt dürfte sich der ausgereifte Dinkelbrand gar Grain-Whisky nennen. „Dazu muss er wenigstens drei Jahre und einen Tag lagern. Aber“, so schiebt Georg Glitz-Ehringhausen hinterher, „wir sprechen lieber vom Korn. Wir sind Kornbrenner.“ „Wobei“, wirft die Schwester ein, „viele Fachhändler gerne von einem ‚heimischen Whisky‘ sprechen.“ Das senke die Hemmschwelle. Bourbon, Gin und Grappa seien der Kundschaft einfach vertrauter als ein westfälischer Korn.

Welchen Namen das Kind am Ende auch tragen mag, elementar wichtig ist die Geschichte, die es zu erzählen vermag. Da ist sich das Geschwisterpaar einig. Im Falle des Kleinen Lords muss man nicht lange suchen: Ururgroßvater Heinrich zeigt sich unverkennbar als Namenspatron. Sein Bildnis hängt überlebensgroß im ehemaligen Kornspeicher, den er einst erbaute und der seinen Ururenkeln nun als großzügiger Büro- und Empfangsraum dient. Heinrich war – ähnlich dem nach ihm benannten Destillat – bekannt für seine extravagante Art und seinen guten Geschmack. Zudem liebte er es, sich in Schale zu werfen, was ihm den liebevollen Beinamen „der kleine Lord“ eintrug. Damit nicht genug, Heinrich war es auch, der als erster Ehringhausener Bauer Dinkel anbaute. Zudem ließ er, da er diese Baumart liebte, einen ganzen Eichenwald anpflanzen. Ob er ahnte, dass er mit beidem – Dinkel und Eichenholz – für die essenziellen Ingredienzien eines typisch Ehringhausener Kornbrands sorgte?

Theres‘ und Georgs Großeltern waren es, die 1962 erstmals – und eher nebenbei – den ersten Korn der Familiengeschichte brannten. Von ihrem Vater schließlich übernahmen die heutigen Jungunternehmer das Geschäft, er war es auch, der ihnen Technik und Handwerk beibrachte. Nachdem auch einige Destillationskurse an der Universität Hohenheim besucht waren, machten sich die Geschwister 2012 ans Werk. „Wir haben unheimlich viel ausprobiert“, bekennt Georg. „Man muss sich einfach intensiv mit der Brennerei auseinandersetzen und hineinfühlen.“ Und ohne Leidenschaft gehe ohnehin gar nichts. Theres nickt: „Die Theorie hilft beim Brennen wenig, Literatur gibt es kaum. Man braucht ein gutes Näschen und das richtige Fingerspitzengefühl.“ Aus beidem erwuchs mit den Jahren eine schmucke Produktpalette: Neben den dunklen, fassgelagerten Dinkel- und Kornbränden in „Limited Edition“ umfasst sie glasklare Destillate aus dem Edelstahltank, drei „ladylike“ Liköre, vier „Geiste“ aus Schlehen, Orangen, Zitronen, Haselnüssen und einen Gin, den „Westfalen-Wacholder“.

Die stilecht etikettierten Apotheker-Flaschen, in denen sie allesamt stecken, gehen maßgeblich auf Theres’ Konto, die, bevor sie in Ehringhausen einstieg, als Mode-Designerin arbeitete. Zurück auf dem heimatlichen Gut freut sich die 37-Jährige über das große Besucherinteresse, das der Familienbrennerei – ganz ohne Werbung – entgegenschlägt. „Wer einmal hier war, einmal in die Produktion hineingeschnuppert hat, bei dem ist das angestaubte Image, das der Korn noch hat, definitiv gebrochen“, erklärt Georg Glitz-Ehringhausen lachend. Wie viel Handwerk und Arbeit hinter einer einzigen Flasche stecken, verwundert die meisten Besucher, die sich, einmal Feuer gefangen, für alle nur erdenklichen Details interessieren. Das wiederum freut den 34-Jährigen, der in Osnabrück Agrarwirtschaft studierte und der sich in der Rolle des Brenners sichtlich wohlfühlt. Gerne führen er und seine Schwester angemeldete Gästegruppen über den gepflegten Hof und durch das historische Backstein-Ensemble. Bäuerliche Familiengeschichte wird hier seit bald 800 Jahren geschrieben. Platz für neue Ideen gibt es trotzdem reichlich, denn die Landwirtschaft, das traditionelle Standbein, expandierte und zog mit neuen Gebäuden nach nebenan. Heiner Glitz-Ehringhausen, der ältere Bruder, führt diesen Betriebsteil, der aus Schweine- und Bullenmast, Ackerbau und Biogas- Anlage besteht. Dabei sind Überschneidungen nach wie vor gewollt: So treibt die Biogas-Abwärme über einen Dampferzeuger die klimaneutral produzierende Destillerie an. Die proteinreiche Schlempe wiederum, die nach dem Kornbrand übrig bleibt, wandert in die Biogas-Erzeugung. Wirtschaft im Familienkreislauf.

Text: Kerstin Rubel. Publikation: Zum Hofe (02/2017). Herausgeber: QS Qualität und Sicherheit. Bildnachweis: Brennerei Ehringshausen