Ran an den Speck: eine gut durchwachsene Kulturgeschichte
Bratkartoffeln und Flammkuchen, Schlachtplatte und Erbsensuppe, dicke Bohnen und Schmalzbrot – was wäret ihr nur ohne euren Speck? Ob fett oder gut durchwachsen, gesalzen oder gepökelt, mit ausgesuchten Hölzern geräuchert oder an der schlichten Luft getrocknet, die variantenreichen Stücke sorgen allerorts für glückselige Gesichter. Eines von ihnen gehört Martin Lagoda. Der ehemalige Chefredakteur von „Essen und Trinken“ widmete dem Speck – gemeinsam mit der Autorin Bettina Snowdon – ein ganzes Kochbuch.
Wie kaum ein anderer weiß Speck, alltägliche Mahlzeiten in wahren Gaumenschmaus zu verwandeln. Per Definition stammt er stets vom Schwein und meint das unter der Haut liegende Fettgewebe von Rücken, Kamm, Bauch oder von den Wangen. Da roher Speck schnell ranzig wird, ließen sich unsere Vorfahren allerlei einfallen, um die kostbare Energiequelle zu konservieren. Währenddessen schwang sich der Kraftprotz unter den Lebensmitteln nicht nur zu langer Haltbarkeit auf, sondern auch zu kulinarischen Höhenflügen. Dabei kam den aromatisch eher neutralen Stücken eines zupass: ihr hoher Fettanteil. Fett trägt Geschmack bekanntlich wie kein Zweiter und so nimmt gepökelter oder gesalzener Speck mit aller Bereitwilligkeit fremde Aromen an, die von Räucherholz, aber auch von Gewürzen und Kräutern stammen. „Beliebt sind Paprikapulver, Knoblauch oder Senf. Zusätzlich werden diese Aromastoffe manchmal mit harmonierenden Kräutern kombiniert wie Oregano, Majoran, Bohnenkraut oder Thymian“, zählt Lagoda auf. Auch Wacholder und natürlich Pfeffer ergänzen je nach Geschmack. Dazu eine individuelle Räuchernote – und die Vielfalt kennt keine Grenzen.
Die Landkarte des Specks zeigt sich als Flickenteppich regionalen Erfindungsreichtums. Besonders dicht fällt er zweifellos in Südtirol und dem österreichischen Raum aus. Profitiert der Speck doch vom dortigen Klima ebenso wie von landestypischen Räucherhölzern und Gewürzmischungen. „Jeder Hof hatte seine eigene Methode, zu pökeln, zu räuchern und zu würzen – und es entstanden zahllose Rezepturen, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden“, schwärmt Lagoda. Alles nur, damit die hart arbeitenden Bergbauern auch „im Winter etwas Kerniges zu kauen hatten“. Und so bei Kräften und bei Laune blieben. „Der Speck ist von allen Gottesgaben eine der besten, die wir haben“, heißt es in einem österreichischen Sprichwort. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Da auf den sich selbst versorgenden Höfen alle Lebensmittel, vor allem die, die von Tieren stammen, von größtem Wert waren, wurde selbstverständlich nichts weggeworfen. Auch eine übrig gebliebene Speckschwarte nicht: Mit ihr wischte die Hausfrau durch die Pfannkuchen-Pfanne ebenso wie über das Waffeleisen – auf dass kein Teigrest mehr kleben blieb. Zu Ostern entlockte sie bunt gefärbten Eiern ein hochglänzendes Strahlen, im Herbst schmierte sie Sägeblätter und im Winter Schlittenkufen. Übrigens: Auch beim Verrücken eines zu schweren Möbelstücks kann in der Speckschwarte die letzte Rettung liegen. Not macht erfinderisch, auch dann, wenn es nur an Bizeps mangelt. Der Speck kann eben vieles geben. Besonders deftige Suppen und Eintöpfe profitieren davon. Denn fließen seine fettreichen Partien im Herdfeuer dahin, dann intensivieren sie auch den Geschmack der mitgarenden Umgebung, die sie zudem noch vor dem Austrocknen bewahren.
Am besten gelingt dies dem Rücken- oder auch Kammspeck, denn er besitzt am meisten Fett. Der bekannte Bauch- oder auch Brustspeck, die Bayern und Österreicher nennen ihn Wammerl, fällt dagegen deutlich magerer aus und ist durchwachsen von kräftigem Muskelfleisch. Sein Sparringspartner ist der nicht weniger populäre Schinkenspeck. Wobei dieser, streng genommen, zu den Schinkensorten, nicht zum Speck gehört: Sieht man einmal von Formfleisch und regionalen Besonderheiten ab, dann stammt Schinken stets von der Schweinekeule. Alle anderen in Frage kommenden Gebiete bleiben dem Speck vorbehalten. Wobei: „Je nachdem, wo man hinkommt oder wen man anspricht, erhält man ganz unterschiedliche Antworten“, weiß Lagoda. Der – mehr oder weniger gut durchwachsene – Speck ist über Jahrhunderte eben in die regional typischen Küchen und Sprachgewohnheiten eingewachsen. Ebenso der Schinken.
So hat der Kopf einfach mal Sendepause, es genügt, dem Bauch zu folgen. Angekommen beim Stichwort „Bauch“ bleibt eine letzte Wahrheit allerdings unvermeidlich: Speck bleibt Speck. Ganz gleich an welcher Hüfte. „Er ist eins der ehrlichsten Lebensmittel, weil er keine versteckten Fette enthält, sondern sein Fett offen und selbstbewusst zeigt“, wiegelt Lagoda ab. Aber mal ehrlich, ist der effektivste aller Energieträger – ein Segen für schwer arbeitende Bergbauern – nicht aus der Zeit gefallen? Bei so vielen Kalorien und Cholesterin? Dass Speck als Diätmittel taugt, davon ist selbst Lagoda nicht zu überzeugen. Gesundheitliche Vorteile sieht er aber sehr wohl darin, sich hin und wieder ein Stück des „unvergleichlich potenten Geschmackträgers“ zu gönnen: „Denn was so unwiderstehlich duftet und schmeckt, das erdet im hektischen Alltag, entspannt Körper und Geist – und zaubert ein glückseliges Lächeln auf jedes Gesicht.“ Wer wollte da widersprechen? Zumal auch traditionelle Rezepturen den hochkalorischen Speck gern gewürfelt oder dünn ummantelt, auf jeden Fall aber fein dosiert einsetzen. Man denke nur an Quiche Lorraine, Speckknödel oder Bohnen im Speckmantel. Überlassen wir die Kalorien also den Tabellen und das Schlusswort Martin Lagoda: „Speck bleibt Speck – und bleibt saulecker.“
Text: Kerstin Rubel. Publikation: Zum Hofe (01/2016). Herausgeber: QS Qualität und Sicherheit. Bildnachweis: Shutterstock (SEAGULL_L)